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Atlantean Kodex : The Golden Bough

Berauscht sowohl vom (natürlich!) bayerischen Bier als auch der Bardenkunst des Atlantean Kodex-Debüts formuliere ich meine guten Vorsätze fürs nächste Jahr optimistischerweise einfach mal ein paar Monate früher: wenn das nächste Mal die Nachricht einer neuen Komplettblamage aus dem Hause Manowar durchs Netz gehen sollte, dann zucke ich mit den Schultern, klicke das betreffende Fenster weg und verschwende keine Sekunde mehr an die sinnlose Tätigkeit, einen empörten Kommentar zu formulieren. Denn nach dem Release von "The Golden Bough" ist das alles unglaublicherweise noch egaler als vorher geworden, haben es die fünf Süddeutschen doch tatsächlich geschafft, ihrem Jahrhundertdemo auch ein Debüt folgen zu lassen, das man sich ohne jegliche Qualitätsabstriche neben "Into Glory Ride" ins Regal stellen kann. (Zur Vervollständigung der Nachbarschaft und als grobe Positionsbestimmung werden weiterhin empfohlen: Bathorys "Twilight Of The Gods", die englische Doom-Sternstunde "New Dark Age" von Solstice sowie - vor allem, was das textliche angeht - Mark the Sharks Arthur-Zyklus "Open The Gates".)

Dass es sich bei "The Golden Bough" aber keineswegs um einen billigen Abklatsch eines der grossen Vorbilder handelt, macht schon der zehnminütige Opener "Fountain Of Nepenthe" klipp und klar. Logisch sind da nach wie vor die Wurzeln der Band glasklar herauszuhören, aber im Gegensatz zum seinerzeit den Hörer mit puren "Into Glory Ride"-Vibes bombardierenden Demo-Opener "From Shores Forsaken" haben die Jungs mittlerweile einen klar eigenständigeren Stil gefunden: epischen Heavy Metal, der zumeist in gemässigtem Tempo würde- und kraftvoll voranschreitet und den Hörer in seine mythischen Welten entführt. Mittelerde, Atlantis, Oberpfalz - sie verschmelzen in den Schriften dieses Kodex zu einem Objekt romantisch-verklärender Betrachtung einer Zeit, in der Magie und Religion noch nicht so einfach von einander zu trennen waren. Insofern sind auch die zahlreichen Zitate aus den Gedichten von J.R.R. Tolkien nahtlos in die bandeigene Lyrik eingewoben, betrachteten doch auch im Herrn der Ringe die handelnden Charaktere mittels dieser Gedichte ihre eigenen versunkenen Reiche auf sehr ähnliche, melancholische Weise. Ein Paradebeispiel das auf dem Lied von den Entfrauen* beruhende, Gänsehaut ohne Ende erzeugende neue Finale des bereits von der Vinylversion des Demos bekannten Fünfzehn-Minuten-Epos "A Prophet In The Forest", das nunmehr auch dem Album als alles überragender Klimax am Ende steht.

Aber greifen wir dem Ende nicht voraus - bis dahin gibt es schliesslich über eine Stunde lang Highlights am laufenden Bande zu beklatschen. "Pilgrim" zum Beispiel, ein doomiger Atmosphärebrocken inklusive kräftig metallisierter "Child In Time"-Verbeugung. Oder "Temple Of Katholic Magic", finster und sakral zugleich (diese Chöre...!) mir den absurden Gedanken hervorbringend, dass Kreuzzug und Inquisition wohl grausame Zeiten gewesen sein mögen, aber auf der akustischen Breitbildleinwand, die der Kodex auffährt, dennoch nichts anderes als die reine Macht ausstrahlen. Kathedralenbesuch nach Noten. "Disciples Of The Iron Crown", einer der seltenen Ausflüge in höhere Temporegionen, die der Band aber ebenso locker aus der Feder fliessen. (Wobei man es hier für meinen Begriff mit den Tolkien-Importen etwas übertreibt - es mag wohl diskutabel sein, wieviel da zuviel des Guten ist, zumal die Band ja keinen Hobbit-Metal fabriziert, sondern diese Zitate stets in ihren eigenen Kontext setzt.)

Oder...ach was, warum soll ich Euch alles vorwegnehmen? Es reicht doch, zu konstantieren, dass hier über 66 Minuten Spielzeit hinweg ein stetig herrschendes, extrem hohes Niveau gefahren wird, genauso wie die Vorstellung der Musiker eher eine geschlossene Mannschaftsleistung ist als dass irgendwelche Yngwie Malmsteens oder Eric Adamse hervorragen würden. "The Golden Bough" ist da vor allem mal ein Monolith metallischer Macht, der in diesem unserem Lande (aber nicht nur da) neue Maßstäbe setzt. Wer in den letzten Jahren auf die Gottwerke von Genre-Größen wie The Gates Of Slumber, While Heaven Wept oder auch Heaven & Hells Schwanengesang abgefahren ist, der wird das Teil eh vergöttern wie die Affenherde in "2001" diesen anderen Monolithen da. Es wäre den Bayern aber auch zu gönnen, dass hier zumindest jeder Manowar-Fan, der schon länger als seit "Warriors of the World" an Bord ist, der Scheibe mal ein Ohr leiht. Und wer nach den letzten Ergüssen von Nasen wie Blind Guardian oder (grusel...) Dimmu Borgir glaubt, man benötigte fantastilliardenteure Produktionen inklusive tausend Orchestermusikern oder ähnlichen Blubberlutsch, um als Band episch und gross zu klingen, der wird hier erst recht eines Besseren belehrt. Well done - Album des Jahres**.

 

 

* Und nicht von den "Klosettfrauen", liebe Rechtschreibfunktion. Computer...*augenroll*

** Zumindest müsste es mit dem Teufel zugehen, wenn da noch was Stärkeres nachkommen sollte.

(c)2010, Ernst Zeisberger