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Leviathan - At Long Last, Progress Stopped to Follow

In Zeiten großer politischer Umwälzungen bieten oftmals kleine Dinge Halt, Orientierung und Richtung. In diesen Tagen sind das zum Beispiel LEVIATHAN aus dem US-amerikanischen Colorado. Denn nach sage und schreibe 14 Jahren präsentieren uns die Prog-Metaller im Alleingang eine neue Scheibe. Das bahnte sich bereits an. Zunächst erschien im Frühjahr 2010 ein zumindest klanglich gut eingefangener Live-Mitschnitt auf CD und DVD. Als weitere Vorhut schoben LEVIATHAN schließlich ihre erste gleichnamige Demo-EP sowie „Deepest Secrets Beneath“ soundtechnisch sauber aufpoliert zusammen auf einer CD nach. Beides sind erhabene Vertonungen progressiven US-Stahls mit höchster Eigenständigkeit.

„At Long Last, Progress Stopped to Follow” ist die bereits sechste Studioproduktion. Und sie schließt ziemlich konsequent da an, wo LEVIATHAN 1997 mit “Scoring The Chapters“ aufgehört hatten. Es wird also nicht mehr das ganz so dicke Metal-Brett gebohrt. Wer sich das Werk erschließen will, muss Zeit mitbringen. Mit einem Durchlauf ist es lange nicht getan. Auch nicht mit zweien. Schon gar nicht mit dreien. Bereits der Auftakt „Blue Screen of Death (THC EMP Part I)“ bringt genug Potenzial mit, den noch so geneigten Hörer zunächst reichlich verwirrt zurücklassen. Zu hoch ist der Vertracktungsgrad. Sogar das zweiminütige Intro bleibt davon nicht verschont. Erst dann übernimmt Jeff Ward kurzeitig die gesangliche Melodieführung, die ihm seine Mitstreiter ständig zu entreißen drohen. Bis die Grundlinie des Songs im Kopf angekommen ist, sind zahlreiche Breaks zu verdauen. Auffällig ist die geänderte Gitarrenanordnung. Zum bewährten Rhythmusspiel von John Lutzow gesellt sich Gitarren-Neuzugang John Sellers. Er unterlegt die Melodien eher solistisch und taucht LEVIAHTAN damit in interessante Klangfarben. „Forsaken, Forgotten for Nothing“ ist deutlich zugänglicher, fast schon durchgehend melodisch. Dass John Sellers auch schön Cello spielt, demonstriert er uns zu Beginn des melodischen Songs „Burning the Candle at Both Ends“. Die kurzzeitigen Growl-Versuche – von wem auch immer – lassen wir mal so im Raum stehen. Verschachtelter kommt anschließend “Third Rail to the Third World (THC EMP Part II)” daher. Wer wissen will, wie ein intelligent vorgetragener Metal-Prog-Riff locker und flockig von der Hand gehen kann und dabei sogar dramatische Obertöne erzeugt, der sollte mit diesem Song beginnen. Nach dem kurzen Zwischenspiel „Acapella“ unterstreichen LEVIATHAN erneut ihre kompositorische Größe mit dem streckenweise ruhigen Song „Vanity Might Protect“. Hier drängt sich exemplarisch eine das gesamte Album prägende Reife und Leichtigkeit auf. „Memorized Fairytales“ setzt diesen leicht melancholischen Kurs fort. „Distention of Time (THC EMP Part III)“ ist der dann folgende Prog-Hammer, auf den das Album zwingend zuzusteuern scheint. Dazu gesellen sich ein überragender Hauptriff und ein langgestreckter akustischer Zwischenpart, den andere so leicht nicht nachmachen werden. Im Finale setzten LEVIATHAN mit dem dramatischen „Release of Tears“ noch einen drauf. Obwohl teilweise eher ruhig, mit Cello unterlegt und an entscheidenden Stellen von pianoartigen Synthies getragen, so ist dieser leider viel zu kurze Song trotzdem purer Metal.

Ein so starkes Comeback war LEVIATHAN nach so langer Abstinenz nicht unbedingt zuzutrauen. Man merkt der Band bei jedem Ton ihre musikalische Reife an. Die LEVIATHAN des Jahres 2011 sind nicht mehr die LEVIATHAN aus dem Gründungsjahr 1989. Trotz allem sind sie sich treu geblieben. Das gilt insbesondere für ihr musikalisches Alleinstellungsmerkmal. Schon beim Erscheinen des Debüts im Jahr 1991 war es nahezu unmöglich, Referenzen anzuführen. In der darauffolgenden Zeit hat die Band ihren Sound peu à peu weiterentwickelt. Er wurde verspielter, was sicherlich zu Lasten der US-metallischen Schlagseite vonstatten ging. Heute ist LEVIATHAN’s Musik anspruchsvoller. Doch es bleibt Metal, der schön, anspruchsvoll, bisweilen sogar kopflastig, mit Leichtigkeit und einem Höchstmaß an musikalischer Reife, aber völlig ohne Gefrickel daherkommt. Jeder LEVIAFan wird sich die Scheibe sowieso zulegen. Anhänger des Progressive Rock/Metal sollten prüfen, es ihnen gleichzutun. Das gilt insbesondere für Fans der jeweils späteren FATES WARNING, LETHAL und MYSTIC FORCE. Der Sound ist sehr gut.

Hier kann man reinhören: http://leviathanresurrected.com/index.html/progress.html
 


 (c) 2011, Heiko