Hexx: No Escape
Ein karger, felsiger Pfad führt uns über dünne Nebelschwaden hin zu einer
monolithischen Gesteinsfigur, die behutsam einen Vollmond stützt, der
zusammen mit einem fremdartigen Sternenfirmament die Szenerie in surreales,
blaues Licht taucht und von eben jener lebendig gewordenen Skulptur
kurzerhand als Kristallkugel zweckentfremdet wird, in der sich unheilvolle
Wolken über dem noch jungen, unschuldigen Heavy Metal zusammenbrauen …
Nein, ihr seid nicht im Esoterik-Forum gelandet, sondern blickt aus der
Perspektive eines von der Aufbruchstimmung infizierten Metalfans auf das
prächtige Albumcover von “No Espace“ einer nagelneuen Band namens HEXX. So
geschehen im Orwell-Jahr 1984, in dem das von ihm düster prophezeite
“Doppeldenk“ zum Glück nur für jene galt, deren Gedanken auch während der
Schul/Arbeits-Pflichterfüllung sich hauptsächlich um die neuesten Heavy
Metal-Bands kreisten. HEXX gab es bereits seit Ende der 70er, als sie noch
PARADOX hießen und angeblich sogar für DIO eröffnen durften, als der in
ihrer Heimatstadt San Francisco gastierte. Doch erst mit dem Einstieg von
Super-Sänger Dennis Manzo und der Umbenennung ging es den entscheidenden
Schritt voran und ein Deal bei Shrapnel Records konnte unter Dach und Fach
gebracht werden, einem der ersten US-Labels, die ihren Schwerpunkt gänzlich
auf hartmetallische Bands legten. Und eben jener Manzo veredelte den
melodischen und immens kraftvollen Powermetal mit seiner schneidenden und
sirenenhaften Stimme, wo man sich bis heute fragt, warum zu dieser
eigentlich harten, maskulinen Musik ausgerechnet ein solch
Eunuchen/Kastrat-artiger Gesangsstil ideal zu passen scheint. Wer damit
nicht klarkommt, darf den Titel des Openers “Terror“ wortwörtlich nehmen,
denn von den hohen Tonlagen gibt es tatsächlich No Escape. Hier und da
schimmern leichte IRON MAIDEN-Einflüsse durch, am deutlichsten bei “Look To
The Sky“, das beispielsweise auch auf ELIXIRs Fabelalbum “Sons Of Odin“ eine
hervorragende Figur gemacht hätte. Ansonsten fährt man einen landestypischen
Kurs, bei dem harte, stampfende Nummern im oberen Midtempo-Bereich in der
Überzahl sind, die sich durch Refrains auszeichnen, wie man sie fast nur in
den metallischen Anfangsjahren vorfindet. Wer das nicht glaubt, hat noch nie
“Invader“, “The Other Side“, “Beware The Darkness“ oder den beschwörenden
Schlusstrack “Fear No Evil“ vernommen, die zusammen mit den besten
Kompositionen von OMEN, GLACIER oder GRIFFIN in einer Sonderliga spielen,
von der die meisten Bands nur sehnsüchtig träumen können. Dass die B-Seite
einen marginalen Tick schwächer ausgefallen ist, damit kann man leben. Zumal
dennoch ein jeder Song aufkommende Gedanken an Durchschnittlichkeit im Keim
ersticken und so die Dichte des Albums zu keiner Zeit unterbrochen wird, zu
der auch die Genre/Zeitgeist-typischen Fantasy-Texte und das eingangs
beschriebene Cover ihren Teil dazu beitragen. Genau wie die
Shrapnel-Produktion, die man unter hunderten Alben heraushört und bis heute
im gesamten Powermetal-Spektrum mit zum Besten gehört. Man achte nur auf den
wuchtig-kernigen Drumsound, den man in ganz ähnlicher Form auch von VICIOUS
RUMORS und CHASTAIN-Alben her kennt und schätzt.
Leider wurde “No Escape“, anders als die späteren Alben, nicht für außerhalb
der USA lizenziert und war so für die lechzenden US Metal-Fans nur als
teurer Direktimport erhältlich, Noch bedauerlicher: Der Label-Großmagnat
Mike Varney hält bis heute die Recht für die ersten beiden HEXX-Alben unter
Verschluss und hat somit mehrere billige Bootleg-CDs begünstigt, mit
schlechtem, von der LP gezogenen Sound. Also Mike, rück endlich die Rechte
raus! HEXX sind für dich doch nur ein kleiner Fisch, und Band und Fans
hätten einen Re-Release z.B. durch Stormspell Records mehr als verdient.
(c) 2010, Peter Müller
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