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Aina : Days Of Rising Doom (The Metal Opera)

Isses das? Das Album des Jahres schon im Januar? Naja, in elf Monaten kann wohl noch viel geschehen, aber um diesem Meisterwerk die Krone noch zu entreißen, muss sich die Konkurrenz schon mächtig was einfallen lassen!

Wer zur Hölle ist Aina? Zunächst mal verbergen sich vier Personen hinter diesem (nur auf den ersten Blick) unscheinbaren Namen, von denen drei (nämlich Sascha Paeth, Robert Hunecke-Rizzo sowie Miro) dem gebildeten Metaller sowohl aus dem Umfeld der kultigen Melodic-Metaller Heaven's Gate als auch als Produktionsteam diverser Orchestral-Donnerschläge von Rhapsody, Angra oder Kamelot ein Begriff sein sollten. Das Quartett wird komplettiert durch die amerikanische Sängerin/Songwriterin Amanda Somerville, die mir vorher nur von ihrem Gastspot auf dem letzten Luca Turilli-Soloalbum bekannt war.

Hört man diese Namen und weiß man, daß es sich bei Aina um eine Metal-Oper handelt, so ist die grobe Ausrichtung des Materials wohl zu erahnen - die Klasse, mit der das Ensemble seine Geschichte über die Bühne bringt, aber keinesfalls. Denn all die Avantasias, Rhapsodys oder Nostradamusse dieser Metal-Welt verweist man mit Leichtigkeit in ihre Schranken und kann gar mühelos mit dem allerstärksten Ayreon-Material mithalten! Aina ist einfach größer, bombastischer, mitreißender - und vor allem vielseitiger als die meisten vergleichbaren Projekte - und da ist es mir auch nur billig, die einzelnen Songs der Reihe nach abzuhandeln. In diesem Sinne, in medias res:

1. Die "Aina Overture" eröffnet das Werk standesgemäß instrumental - melodische Metalgitarren duellieren sich mit Orchesterklängen, wie es die neueren Savatage nicht schöner hinbekommen hätten. Wobei man mal wieder nur ungläubig niederknien kann vor der unglaublichen, kristallklaren, hochgradig dynamischen Produktion, die Paeth&Co. mal wieder auf Silberling gezaubert haben. Jedesmal, wenn Kamelot oder Rhapsody mit 'ner neuen CD in den Startlöchern stehen, glaube ich frevlerischerweise, die grandiose Orchester-Dröhnung vom letzten Male könne eigentlich nicht mehr übertroffen werden - und wirklich ausnahmslos JEDESMAL werde ich von den ex-Heaven's Gate'lern an den Reglern eines besseren belehrt. Nun, Aina ist selbst noch für dieses Team klanglich (musikalisch sowieso) ein Magnum Opus. Jedes einzelne Instrument ist einwandfrei rauszuhören, die Heaviness wurde trotz aller Finesse niemals vernachlässigt, und die Orchestersounds klingen wie direkt aus einem sündhaft teuren Hollywod-Soundtrack entnommen.

2. "Revelations" beginnt sehr ruhig, während ein alter Bekannter mal wieder seine Klasse unter Beweis stellen kann: Michael Kiske ist es, der hier von einem englischen Knabenchor unterstützt wird, bevor dann der Song mehr Fahrt aufnimmt und sich im bombastischen Midtempo einpendelt. Nach einer weiteren Choreinlage ist der nächste Gaststar Damian Wilson, der auf Alben dieser Art offensichtlich nicht fehlen darf. Leider hat er hier nur einen winzigen Part zu absolvieren - der allerdings kommt gewohnt stimmungsvoll daher.

3. Kiske is back - und wie! "Silver Maiden", eine gigantische Epic-Ballade, wird dominiert vom Orchester, und der ex-Helloween-Fronter holt wirklich alles aus seiner Stimme heraus. Dieser Song ist ihm aber auch wirklich wie auf den Leib geschneidert - wer sich an Göttersongs wie "Longing" oder "Do I Remember A Life" erinnert, kann erahnen, was da auf ihn zukommt.

4. "Flight Of Torek" ist wohl der "Avantasia-Song" der Scheibe. Nicht nur, weil am Mikro mittlerweile Tobias Sammet Aufstellung bezogen hat - nein, auch musikalisch wird die olle Melodic Speed-Kiste ausgepackt. Geschickte, dezente Orchester-Einlagen bereichern den Song, der mit dem Auftreten von Glenn Hughes schließlich eine völlig unerwartete Wendung nimmt. Der ehemalige Deep Purple-Sangesgott singt sich, wie wir es von ihm gewohnt sind, die Seele aus dem Leib und beweist einmal mehr, warum er den Spitznamen "the voice of Rock" tragen darf. Ein kurzer Einwand von Thomas Rettke beendet schließlich den Song.

5./6. Aber damit hat ja die Heaven's Gate-Connection erst so richtig begonnen. Die nächsten zwei Tracks, "Naschtok Is Born" sowie das extrem geile "The Beast Within", bestreitet Rettke fast im Alleingang, von ein paar sehr coolen, düsteren Choreinlagen, die den Aufstieg seines Charakters zum führenden Bösewicht der Fantasy-Story dokumentieren, mal abgesehen. Beide Songs bieten erstklassigen Oldschool-Heavy Metal in Reinkultur, wie ihn damals auch problemlos seine Stammtruppe hätte verfassen können. Erinnert sich eigentlich noch jemand an Killertracks wie "Path Of Glory" oder "Neverending Fire"? Ich hoffe ja...

7. Die kleine "Heaven's Gate-Reunion" endet erst mal mit dem göttlichen "The Siege Of Aina", einem hymnenhaften Killertrack mit einem alles überragenden Chorus, ein Paradebeispiel dafür, wie man ein Orchester dramatisch und stimmungsgewaltig im Metal einsetzen kann. Und sollte! Ganz groß!

8. "Talon's Last Hope" ist eine weitere Glanzvorstellung von Glenn Hughes, gegen den sein Gegenpart Andre Matos (Shaman, ex-Angra/Viper) eigentlich nur blaß aussehen kann. Trotzdem schlägt sich der Brasilianer sehr gut, wenn er über das unglaubliche Charisma der Rocklegende natürlich nicht verfügt. Zumal Hughes hier - in bluesigeren, traurigeren Gefilden - natürlich sowas wie ein Heimspiel hat.

9. Eine weitere gigantische Ballade folgt mit "Rape Of Oria". Gänsehaut macht sich breit, wenn Candice Night zum Mikro greift. Und auch instrumental hat man alle Register gezogen: auf einem Soundtrack der "Herr der Ringe"-Kategorie würde ein solcher Song nicht sonderlich aus der Reihe fallen. Es mögen Rhapsody sein, die großspurig "Film Score Metal" beschwören - hier ist ihnen jemand zuvorgekommen!

10. "Son Of Sorvahr" - das krasse Gegenteil des letzten Tracks! Schnurstracks geradeaus gezockter Rock mit eingängigem Chorus und Seventies-lastigen Orgelsounds ist wohl das Allerletzte, was man an dieser Stelle erwartet hätte. Und in der Tat steht dieser Song zunächst ein wenig abseits - nach diversen Durchgängen will man ihn an dieser Stelle aber nicht mehr missen.

11. "Serendipity" greift hingegen ein weiteres Mal auf gemäßigtere Töne zurück. Daß Michael Kiske ebenjene ganz hervorragend herüberbringt, sollte keine größere Überraschung mehr darstellen, oder? Eben. "Serendipity" kommt - von dezenten Chor-Einsätzen mal abgesehen - deutlich basisnäher daher als die anderen balladesken Momente dieses Albums: keine große Dramatik, keine Fanfaren sind angesagt. Einfach ein ruhiger Moment vor dem Sturm.

12. "Lalae Amer" ist sicher der ungewöhnlichste Song des Albums und hat mit Heavy Metal erst mal gar nix zu tun. Vielmehr erinnert das komplett in "Ainae" - der fiktiven Sprache des Landes Aina - vorgetragene Stück etwas an die orientalischen Exkurse einer Loreena McKennitt auf ihrem "Book of Secrets"-Meisterwerk Erst das heftige Gastsolo von Kamelot-Gitarrenvirtuose Thomas Youngblood entführt den Song wieder in ansatzweise schwermetallische Gefilde. Fantastisch!

13. Aber der Metal meldet sich gleich stärker denn je zurück. "Rebellion" (jawoll!) sieht Glenn Hughes in die Schlacht reiten - ein hymnischer Up-Tempo-Rocker wie aus dem Bilderbuch. (Im wahrsten Sinne des Wortes, betrachtet man das mit allerlei aufwendigen Fantasy-Bildern geschmückte, megadicke Booklet, dessen Klasse ich höchstens noch bei den Special Editions der letzten Rhapsody-Alben gesehen habe.)

14. Daran knüpft "Oriana's Wrath" nahtlos an. Die finale Schlacht wird ausgetragen, mit Sass Jordan und Marko Hietala sind die Heerführer ganz ausgezeichnet besetzt (insbesondere letztgenannter zeigt, daß er WESENTLICH mehr drauf hat, als er zuletzt bei Nightwish zeigen durfte), und den pompösen Chorus hätten Rhapsody nicht schöner schreiben können. Mit dem Unterschied: bei Aina machen die Lyrics halbwegs Sinn ...;-) Fürwahr, ein fulminantes Finale!

15. Damit liegt es an Herrn Kiske, dem Ganzen mit "Restoration" einen leicht melancholischen Epilog zu verschaffen. To be continued...

 

Schließlich liegen der Oper zwei Bonus-Silberlinge bei, von denen sich der erste vor allem Single-Versionen sowie alternativen Takes widmet (interessant vor allem eine komplett in "Ainae" gesungene Version von "Rape Of Oria"). Erwähnt werden muß aber unbedingt das fünfzehnminütige "The Story Of Aina", das gleich in zwei verschiedenen Versionen vertreten ist. In einer davon wird dem Titel entsprechend die dem Album zugrundeliegende Fantasy-Story von einem Erzähler vorgelesen. (Steht aber auch komplett im Booklet.) Die zweite ist für meinen Begriff interessanter - dort fehlt das Erzählelement, womit hier quasi eine fünfzehnminütige Zusammenfassung der Oper, nur von klassischen Instrumenten vorgetragen, vorliegt. Sollte die Story jemals verfilmt werden, hat man hier gleich den passenden Soundtrack geliefert.

Die zweite Bonusdisc kommt als DVD und hat neben einem ganz ordentlich gemachten Computer-Animations-Video zu "The Beast Within" allerlei "Making Of"-Stoff zu bieten. Wenn man das alles intus hat, sollten wirklich keine Fragen mehr offen sein. Außer vielleicht, ob jemand diese Kritik wirklich ganz bis zum Ende durchgehalten hat...

(c)2004, Ernst Zeisberger