Highlights im Schlamm

Highlights im Schlamm (und ein wenig Sonnenschein) - Impressionen vom Arrow Rock Festival 2004

 

2. Arrow Rock Festival, Lichtenvoorde (NL), 11., 12. & 13. Juni 2004

 

Tja, da ist man zwei Wochen vergeblich quer durchs französische und belgische Land gekarrt um den Regenschauern zu entkommen, erwartet einen zu allem Überfluss (sic) am zwoten Tag des Arrow Rock Festivals ein Wolkenbruch. Das Festivalgelände nahe dem pastoralen ostniederländischen Ort Lichtenvoorde wird im Nu zu einer Schlammwiese. Nach zwei Wochen campen in der feuchten Kälte hat man dann so seine Schwierigkeiten die gute Laune zu bewahren, verpasst einige Auftritte und will eigentlich nur noch nach Hause. Warmduscher sind eben zufriedenere Leute. Aushalten ist aber angesagt (danke, Katinka), denn UFO, Judas Priest, Queensryche und Heart spielen – und dafür ist man schliesslich die vielen Hunderte von Kilometern gefahren. Einige kleine Eindrücke sind hier nachzulesen.

 

Freitag

Die zweite Edition des Arrow Rock wartet mit einem sagenhaften Billing für Trendverweigerer auf – leider gibt es aber mal wieder zwei Bühnen, so dass man zwangsläufig Bands ganz oder teilweise verpasst. Wann kapieren Organisatoren von Open Airs endlich, dass sie a- weniger Bands spielen lassen sollen und b- es nur eine Bühne geben soll? Wenn man sich das meist überladene Programm der ganzen Sommerfestivals so ansieht: nie. Anyway, Arrow hat, nebst einer amtlichen Hauptbühne, auf der Y&T, Scorpions, Queensryche, Heart und Co. losrocken werden, ein Riesenzelt im dem man sich u.A. Blue Öyster Cult, Symphony X und Alice Cooper ansehen kann. Da der ursprünglich geplante ‘grosse’ Freitag mit Bowie, Anouk und Grönemeyer ausfällt, hat die Organisation zwei Tribute Bands und eine Riesenüberraschung für die früh angereisten Camper gebucht. Am Freitagabend spielen die ausgezeichneten Dire Straits-Covermusiker Brothers In Arms (aus Deutschland) und die 80’s Hairsprayrock-Partycoverband Blaze Of Glory erstmal im Rock Palace-Zelt, damit etwas Stimmung aufkommt. Vor allem Blaze Of Glory schaffen das hervorragend, mit neun Leuten (Dame inklusive) auf der Bühne, jeder Menge Gags, Spandexhosen und einer Setlist die sämtliche Mitgröler aus der guten alten nach-uns-die-Sintflut-Zeit enthält. Von Running with the devil, The final countdown bis Jump, Highway to hell, Guns ‘n’ Roses-und Bon Jovi-Nummern - von denen ich immer die Titel vergesse – gibt’s das volle Partyprogramm.

Die Sabbath-Skandinavier von The Quill spielen dann ein exzellentes Stück Seventieshardrock ohne Schnickschnack. Dieses sehr tighte Quartett merkt man ihre jugendliche Spielfreude und Energie jede Sekunde an. Dass der Sänger sich während des Gigs in ein Oranje-Trikot hüllt, lasse ich hier mal unkommentiert stehen. Flattery will get you nowhere, dude! Da ich mit dem Material der Truppe nicht vertraut bin, ist aber mit dieser Performance mein Interesse an ihre CDs geweckt. Moral der Quill’schen Kurzgeschichte: sich den Arsch abzuspielen macht immer und überall Sinn.

Nach einer kurzen Umbaupause wird es dann E.R.N.S.T. Unfassbar aber wahr: auf die Zeltbühne klettert kein Geringerer als Gitarrenlegende Ronnie ‘Gamma’ Montrose und feuert mit seiner Band ein old-schooliges Rockprogramm in die Meute dass sich gewaschen hat. Das absolute Highlight, klar, heisst Space station No. 5 und wird von den Die-Hards ganz vorne wie in einem Trance aufgesogen. Nie gedacht, dass ich das noch erleben darf. Komm bitte schleunigst wieder, Ronnie, denn wenn dein Riff von Rock the nation erklingt, dann gibt’s weder Trends noch Kriege – dann sind allgemeines Wohlbefinden und serious Headbanging angesagt (nächstes mal darfst du aber durchaus Gamma-Stoff wie Voyager auspacken - thanks).

 

Samstag

Es regnet in Strömen und so sehen sich am Nachmittag Ten Years After und Y&T mit erheblich niederigen Zuschauerzahlen als erhofft konfrontiert, obwohl sich mittlerweile schätzungsweise 17.000 Leute auf dem verschlammten Terrain befinden. Eine beachtliche Anzahl von ihnen ist ins Rock Palace-Zelt geflüchtet, wo sich die holländischen Melodicrockern von Plaeto (ex-City To City), The Godz und Eric Burdon & The Animals Beifall erspielen. Uraltmeister Eric Burdon ist cool wie eh und je, nur hat man manchen alten Klassiker ein wenig umarrangiert (Reggae-Vibes und so) um die Stimme von House of the Rising Sun ein wenig zu schönen. Bei diesem Auftritt merkt man mehr als bisher das fortgeschrittene Alter vieler Besucher – selten so viele Betriebsausflugssouvenirjacken (Versicherungen, Accountancy usw.), Designerdenim und vor dem endgültigen Haarausfall kapitulierte Seventiesfrisuren auf einmal gesehen. Very Rock ‘n’ Roll schaut das nicht aus, aber es ist immer noch besser als Augenbrauenpiercing, Idiotenkopfsocke und Baggypants in denen man zu zweit campen kann.

Nachdem Burdon mit seinen Aushilfstieren (guter Keyboarder übrigens) abgeräumt hat, gibt’s dann den ersten richtigen Arschtritt: ladies and gents, the UFO has landed. Was Phil Mogg und Co., verstärkt durch Gitarrero Vinnie Moore (remember Soldiers of the night?), hier leisten ist allererste Sahne. Megageile Versionen von This kid's, Mother Mary, Let it roll (was für ein Hammer!), Too hot to handle, Love to love und – jawohl! – Doctor doctor bekommt man zu hören und vor allem Basser Pete Way (im frivolen Polkadot-Hemd) hat einen Höllenspass dabei – ist er doch meistens tieftönend am Bühnenrand zu finden. Und das während auf dem Drumpodest mehrere Flaschen Evian darauf warten, von der berüchtigten britischen Saufboldbrigade geleert zu werden. Die Anspielung Moggs auf Alkoholfreies wirkt dementsprechend ironisch. Ab geht die Post mit dem Riff-to-Groove-Classic Lights out – das ist auch nach sovielen Jahren noch der UFO-Song bei dem man das Bangen einfach nicht lassen kann. Rock bottom schliesst die ausserirdische Runde Briten-Hardrock on Her Majesty’s Secret Service und obwohl man im Zelt mittlerweile knöcheltief im Dreck steht, wird ringsum euforisch applaudiert. Ich wage mal zu behaupten, dass keiner der Neunziger-‘Rockbands’ es schafft, in dreissig Jahren so souverän auf der Bühne zu stehen, geschweige denn einen vernünftigen Ton von sich zu geben. Long may the UFO hover above us!

Da ich (blöderweise) Blue Öyster Cult und die Scorpions verpasse und meine Motörhead-Interessen enden bei Ace of spades und No sleep ‘til Hammersmith, verbringe ich nach einem kurzem Aufenthalt bei Alice Cooper die Zeit bis Priest im Campingzelt. Coopers Schaffen, übrigens, ging mich schon immer am A. vorbei und auch mit dieser Show ändert sich daran rein gar nichts. Sorry, Vincent.

 

Halb elf Abends – es regnet nicht mehr, thank God – hat sich dann eine Riesenmenge vor der Hauptbühne versammelt. Von Journey- bis Cannibal Corpse-Shirts ist jede ‘Stilrichtung’ vor Ort, denn Judas Priest haben schliesslich den Heavy Metal massgeblich geprägt (meiner bescheidenen Meinung nach sogar erst ‘richtig’ erfunden). Wird Rob Halford seinen Ruf als Metal God nochmal gerecht werden? Wird es eine vernünftige, sprich Jugulition-freie Setlist geben? Werden Tipton und Downing wieder im Duett riffen wie einst? Wird, kurz und gut, der einzig wahre Priest auferstehen? Man spürt förmlich die Skepsis des Publikums, aber: die Show die Birminghams finest heute abend als Comebackzeugnis hinlegen macht eindeutig klar, dass die post-Ripper Owens-phase in keiner Hinsicht als aufgewärmtes Kühltruhegericht zu betrachten ist. Der Metal God ist nicht nur gut bei Stimme – obwohl er die Screams von weit holen muss – sein Act ist womöglich noch theatralischer als früher (der Robotermarsch zu Metal gods kommt klasse ‘rüber). Ausserdem springt das brandneue Halford-Outfit, äh, ins Auge: aus dem Weg, da kommt der Metal-Transformer in Chains & Leather!

Es ist fast alles wie damals vor dem grossen Bruch, aber das Publikum geht nur bedingt mit. Doofe Sache, denn Granaten wie Electric eye, Beyond the realms of death, Ripper (etwas langsamer gespielt als früher, nahe an der Uralt-Studioversion auf Sad wings of destiny) oder Victim of changes verurteilen einen geradezu zum Dauerbangen. Die astreine Ausführung von Painkiller (mit KK und Glen in Soli-Overdrive) stösst aber plötzlich auf allgemeine Begeisterung, ebenso wie das Motorradfahren vor dem obligatorischen Hell bent for leather. Leider haben sich kein Steeler, Rapid fire, Sinner, Freewheel burning oder Saints in hell in die Setlist reingeschlichen, und so bleibt zumindest für mich noch so mancher Wunsch offen. Die neue Scheibe kommt laut Rob im November und ich kann nur die Hoffnung aussprechen dass vor allem Bandkopf Glenn Tipton aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat und das erschafft was jeder von uns sehnlichst erwartet: ein richtiges Priest-Album mit klaren Melodien, unverzerrten Riffs und Vocals, doppelten Gitarrenläufen und the secret ingredient. Eins vermisst man nämlich auf den heutigen Veröffentlichungen im Metalbereich noch am meisten: Atmosphäre. Wer Priest in dieser Verfassung sieht, weiss, dass die fünf Götter mehr als nur oberflächlichen Spass an der Sache haben. Tipton, Downing, Hill (hail!), Travis und Halford gehören zusammen auf einer Bühne – basta. Und wer weiss, vielleicht kommt da eine grossartige Scheibe auf uns zu…

 

Sonntag

Wenn die britische Folkrockgesellschaft Caravan am Mittag ihre recht relaxte Sache machen, schieben sich immer noch Wolken vor die Sonne, was sich erst ändert bei den letzten Songs der Seventiesrockinstitution Iron Butterfly (lasches Konzert im Orgelfieber). Im Zelt überraschen Symphony X mit einer viel besseren Show als noch auf der letzten Clubtour. Gitarrist Michael Romeo wird ja von vielen Leuten als genialer Gitarrist gehandelt, aber ich empfinde seine Spielweise und Sound eher als kalt und monoton. Das As im SX-Gepäck heisst nach wie vor ‘Sir’ Russell Allen. Der Mann singt wie Dio zu Holy diver-Zeiten und erzeugt eine Riesenstimmung beim Publikum, dass lauthals Zugaben fördert und bekommt.

Heute ist das Durchschnittsalter der Besucher gar noch etwas höher als noch am vorherigen Tag. Leute mit Strickpullovern, Stühlchen, Fernrohr (…) und Orangensaft werden allerorts an den Picknicktischen (wiederum: …) gesichtet, was etwas surreal anmutet. Man unterdrückt die Neigung, sich etwas Dezentes übers Jag Panzer-Shirt anzuziehen und stellt sich unwillkürlich die Frage: ‘Bin ich hier auf dem richtigen Festival?’ Doch, denn genau um 17.30 Uhr steht bei strahlendem Sonnenschein die Seventiesrocklegende schlechthin auf der riesengrossen Hauptbühne und alles wird doch noch gut: nach sovielen Jahren Heart livehaftig in der alten Welt zu erleben, da fehlen mir die Worte. Ann und Nancy Wilson rocken so selbstsicher und enthousiastisch ab, dass es eine Stunde lang licht ist (biblischer geht’s nicht). Klassiker reiht sich an Klassiker, wobei ich ausraste bei Lieblingssongs wie Magic man (Gänsehaut), Crazy on you, Dog and butterfly (aaaaahhhhh!) und dem seit drei Dekaden rostfreien Durchbeisser Barracuda (einst genial von Chastain gecovert). Wie schön und sonnig das Leben doch sein kann. Nancy rocks like there’s no tomorrow und Schwester Ann singt als seien seit Little queen gerade mal zwei Stunden und drei Minuten vergangen. Mit den Jahren scheint die feministische Komponente in den Texten gar in subtilster Weise gewachsen. Oder hörten wir da früher einfach etwas anderes drin? Egal, denn Heart sind der Grund, dass die vordersten Reihen sich mit Dauergrinsen diesen ultimativ nostalgisch gefärbten Superdupergig reinziehen. Verdammt, eine Stunde Spielzeit ist doch viel zu kurz für diese Damen – viele mit mir hätten so gerne Dreamboat Annie, The wolf, If looks could kill und vor allem Love alive, Nada one und Mistral wind gehört! Man kann nur hoffen, dass es nicht wieder ‘zig Jahre dauert bevor die Wilsons aus Seattle uns wieder mit ihrer Livepräsenz beglücken. Und vielleicht sind die Shirts dann auch wieder bezahlbar, denn 30 Euro (das sind - wir rechnen erfahrungsbedingt hartnäckig in alter Währung - mehr als 60 D-Mark) für ein Textilstücksken Bedrucktes geht einfach nicht an. Etwas älter sind wir zwar, aber noch lange nicht bekloppt.

Raintown Seattle darf heute nochmal ran, denn mit Queensryche steht eine weitere Band von der amerikanischen Westküste im Arrow-Rampenlicht. Und was haben sich Geoff Tate und seine Mannschaft ausgedacht für die ihnen zugewiesenen sechzig Minuten Spielzeit? Genau: Operation: Mindcrime am Stück, mit Pamela Moore als Gastsängerin. Erstaunlicherweise ist vom Anfang des Konzerts an von der doch arg verblichenen Popularität der QR-Formation so gut wie nichts zu merken: von vorne bis hinten werden sämtliche Texte mitgesungen und jedes Break wird fast auf die Sekunde genau mitgebangt bzw. mitgedrummt. Die fünf Herren (ohne DeGarmo, versteht sich) hauen vor einem Riesenpublikum ihren Set raus in altbewährter QR-Qualität, wobei Tate sich auffallend ‘metallisch’ gibt. Wenn der Fünfer tatsächlich kein Interesse mehr an Metal bzw. Rockmusik hat, ist das eine Oscar-würdige Schauspielerleistung. Als logischerweise merkwürdig empfinde ich die erhebliche Diskrepanz zwischen der ausgelassenen Festivalatmosphäre und der seriösen, tragischen Thematik der Operation: Mindcrime-Geschichte. Diese Vorstellung hätte natürlich besser ins dunkle Rock Palace-Zelt gepasst, aber egal: the Ryche still rolls.

Da mir das freaky Gitarren-/Keys & Synths-Inferno von Vai, Fripp und Satriani nicht mündet und Eyes of a stranger ohnehin ein würdiger Schlussakkord eines Festivals ist, wird das Zelt abgebaut und geht’s ab nach Hause, wo die Dusche vertraut warm und das Bett so herrlich sanft ist (Luftmatratze adé!).

 

Nachtrag

1- Das Billing des Festivals war klasse, ausser dass mir Vandenberg (hätten hier einfach einen einmaligen Dankeschön-Gig spielen können) sehr gefehlt haben. Was die Organisation betrifft: auch die Arrow Rock-Veranstalter sollten sich bezüglich dem Essen & Trinken sowie dem Merchandise die Frage stellen wie weit man es mit Kommerz treiben kann. Zwei Euro für ein mickriges low alcohol-Bier und vier Euro für einen Pfannkuchen sind eine Frechheit. Ausserdem hat das Fehlen eines künstlichen Bodens im Rock Palace-Zelt bei dem Sauwetter zu Recht für erhebliche Verärgerung gesorgt. Mit dem Sanitär und das Campinggelände war aber wieder alles im grünen (äh…) Bereich.

2- Der Erfolg von Symphony X hat bewiesen, dass Progressive Metal sich in einer stetig wächsenden Beliebtheit erfreuen darf, wenn man nur den Rahmen dafür schafft. Das Arrow Rock schlug mit Acts wie Yes, Fish (für Absager Porcupine Tree spielten Saga) und Symphony X eine Brücke zwischen Progrock und Progmetal – so soll es sein und jeder hat was davon. Nächstes mal könnte man zum Beispiel Marillion, Ayreon, Lana Lane, Spiral Architect und Fates Warning (mit John Arch als Gastsänger?) buchen, da ist die proggische Euphorie vorprogrammiert (wenn letzteres passiert, KRIECHE ich zum Festival! -Michael).

3- Der Samstag war in Sachen Besucherzahlen dank seinem Metalschwerpunkt durchaus der Volltreffer, was den Arrow-Machern dazu veranlassen könnte, das nächste Mal schwerer schwermetallisch auszupacken. Tad Morose, Leatherwolf, Jag Panzer, Warlord, Iced Earth, Armored Saint, Metal Church – die Liste der Kandidaten ist endlos. Zudem könnte eine Prise gutklassiger AOR/Melodic Hardrock nicht schaden, denn diese Stilrichtung passt genau ins Festival, und wo sieht/hört man diese Bands sonst? Eben. Holt Triumph, Journey, Dare oder Ten und die Sonne wird strahlend am Rockhimmel stehen.

4- Top-Wunschkandidat für Arrow Rock 2005: Pat Benatar.

Fazit: gutes Festival, dass noch besser sein könnte wenn man an den Kritikpunkten arbeitet.

C-ya next year?

 

Oliver Kerkdijk

 

Ein riesiges Dankeschön an Katinka – my Heart and Soul.