Virgin Steele : The House Of Atreus, Act II
Gerade hab' ich mal das neue Nevermore-Meisterwerk ansatzweise verdaut, da schickt mir Michael, die Götter mögen ihn beschützen, schon den nächsten zukünftigen Klassiker. Virgin Steele beenden ihr an eine Tragödie aus der griechischen Mythologie angelehntes Konzeptwerk standesgemäß mit einer Doppel-CD, die über die Spieldauer von 90 Minuten einmal mehr die absolute Ausnahmestellung dieser Band im Epic Metal-Genre hervorhebt, daß es deutlicher kaum ginge. Die Inspiration eines David DeFeis, der die hier vertretenen 23 Stücke bekanntlich bereits zusammen mit "Act I" fertiggestellt hatte (!), scheint unbegrenzt, zumal David & Co. auch diesmal keinerlei Anzeichen von (kompositorischer) Schwäche zeigen, im direkten Vergleich mit dem ersten Akt sogar noch etwas an Klasse zulegen konnten.
CD Nummero 1 wird dominiert von den straighteren Metal-Knallern wie dem von der EP bereits bekannten "Wings Of Vengeance", dem von einem mächtigen Refrain gekrönten "Fire Of Ecstasy" oder dem schnellen "The Wine Of Violence", wohl der härteste Virgin Steele-Song seit Jahren. Absoluter Höhepunkt ist hier allerdings das majestätische 8-Minuten-Epos "A Token Of My Hatred", in bester "Sword Of The Gods"- oder "Perfect Mansions"-Manier verfaßt:
"Great God of the Seven Seas, Great God of the Sky,
Hear me now as I ride down this Wind,
A King of Eternity to the last, when the first Stars arise,
I have come claiming my Victory
to the End, When the Carrion must die"
Nur stimmungsvoll, und ein Lehrbeispiel dafür, wie man derartige Lyrics rüberbringen kann, ohne wie eine Selbstparodie zu wirken (Gruß nach Schweden...) oder sich in einem drittklassigen Fantasy-Roman (Gruß nach Bella Italia!) zu wähnen. Wieder mal ein Song, bei dem Meister DeFeis sich selbst übertroffen hat - logisch, daß da dessen Thema auf der zweiten CD hier und da in bester VS-Tradition wieder aufgegriffen wird.
Mit dem zweiten EP-Song "Flames Of Thy Power" eröffnet die zweite CD ähnlich schlagkräftig, bevor die in bester Queen/Savatage-(und natürlich Virgin Steele-)Tradition stehende Bombast-Ballade "Arms Of Mercury" das Ganze erst mal etwas auflockert. Das Teil hält jedenfalls locker mit Alt-Volltreffern wie "Child Of Desolation" oder "Forever Will I Roam" mit, muß ich noch mehr sagen?
Dacht' ich's mir doch, deswegen flugs zur fünfteiligen "By The Gods Suite" geschritten. Hier wird's etwas komplexer als bisher; zwei, drei Durchläufe sind also Pflicht, bevor man das gute Stück einigermaßen verdaut hat. Denn das Ganze ist mal mindestens so theatralisch ausgefallen wie etwa King Diamonds "The Trial" (auf "The Eye") und führt nebenbei noch den das Ende der Oper beherrschenden Chorus ein ("Rise up, rise up again, after the Ring of Fire..."). Nach einigen Durchgängen entwickelt sich die "Suite" gar zu den überragenden Highlights des zweiten Akts, der schließlich von einer weiteren exzellenten Ballade ("When The Legends Die") und mit "Resurrection Day" mit dem dritten Mega-Epos des Albums beendet wird.
Was gibt's noch zu sagen? Daß Virgin Steele nunmehr zum fünften Mal in Folge ein Hammer-Album von derartiger Qualität vorgelegt haben, das die gesamte Konkurrenz, so es sie überhaupt gibt, mühelos in die Schranken verweist? Versteht sich doch von selbst...David und sein Gitarren-Sidekick Ed Pursino bringen wie selbstverständlich das zur Perfektion, was Blackmore/Dio einst in den Siebzigern begannen und De Maio/Adams in den Achtzigern fortführten- Magie, Melodik, Metal, Macht. Und ich sehe im Moment niemanden am Horizont, der ihre alleinige Herrschaft über den Epic Metal-Thron ernsthaft in Gefahr bringen könnte...
©2000, Ernst Zeisberger