Skyclad : Folkémon
Wow, hier hat wohl jemand den Metal für sich wiederentdeckt? Daß der nichtsdestotrotz ultracoole Albumtitel, der auch optisch von Hauszeichner Duncan Storr gewohnt genial umgesetzt wurde, ziemlich irreführend ist, sollte dem Zuhörer bereits beim ziemlich heftig losthrashenden Opener "The Great Brain Robbery" klar werden. Wenn dies auch kein Überhammer-Track ist, so setzt er doch die Zeichen für das, was in den nächsten fünfzig Minuten angesagt ist - und das ist eindeutig Metal, und das wesentlich deutlicher als noch auf dem etwas unentschlossenen, für Skyclad-Verhältnisse eher durchschnittlichen Vorgänger "Vintage Whine". Die nächsten fünf Songs zähle ich dann gar zum stärksten Material der Briten ever, als da wären:
das wie der Opener mit einem typischen Walkyier-Wortspiel betitelte "Think Back And Lie Of England", das mit einem gigantisch groovenden Gitarrenriff beweist, daß Steve Ramsey definitiv zurück ist - genau diesen Stoff habe ich auf den letzten zwei Alben so vermißt. Hätte auch gut auf "Prince Of The Poverty Line" gepaßt, gerade auch dank des gesellschaftskritisch orientierten Textes, in dem sich Martin offensichtlich mit den weniger glorreichen Momenten der Geschichte seines Heimatlandes befaßt (Anm.: Ich habe leider kein Textblatt vorliegen, deswegen muß ich hier ziemlich ins Blaue interpretieren. Da bei Skyclad die Lyrics aber immer eins der entscheidenden Elemente waren, wollte ich dies aber nicht ganz aus der Kritik außen vor lassen. Erschießt mich also nicht gleich, falls ich hier allzugroßen Unsinn verzapfen sollte. - Ernie).
"Polkageist" besticht nicht nur wie die meisten Songs durch einen obercoolen Songtitel, sondern ist auch der legitime Nachfolger zu legendären Hüpf-zur-Fiedel-Stimmungsmachern wie "Earth Mother, The Sun And The Furious Host" oder "Spinning Jenny", an das mich dieser Song auch textlich erinnert. Dürfte auf Live-Konzerten Band wie Publikum völlig austicken lassen.
"Crux of the Message" bestätigt dann die deutliche Tendenz zum Metal. Dieser Track hätte rein stilistisch auch locker auf dem letzten Album stehen können und wäre dort ein definitives Highlight gewesen.
Schließlich gibt's mit dem über siebenminütigen Epos "The Disenchanted Forest" den absoluten Höhepunkt einer sehr starken Scheibe. Beginnend mit einem sehr folkigen, fast nur von Gesang getragenen Part, erwartete ich eigentlich einen typischen Mitsinghit im "Inequality Street"-Stile - weit gefehlt! Mächtige Power Metal-Riffs bahnen sich den Weg in die Gehörgänge, die Fiedel kommt dagegen erst im Chorus entscheidend zu ihrem Recht und wird in diesem Song zusätzlich von dezenten Flötenparts unterstützt, bei denen mir ab und an das Demon-Meisterstück "Remembrance Day" in den Sinn kommt. Lyrisch scheint Martin Walkyier dabei mal wieder die alte Umweltschützer-Rolle anzunehmen. Mit weitem Abstand mein absoluter Fave-Song auf dieser CD - muß man gehört haben!
Den olympiareifen Fünfkampf beendet ein weiterer Track im alten "Prince..."-Gewande, "The Antibody Politic". Abermals deftige, gut groovende Gitarren; aufs Wesentliche reduzierte, dadurch allerdings wesentlich prägnanter als zuletzt wirkende Geigenparts von George Biddle (die dafür im Gegenzug oftmals am Keyboard glänzen kann); dazu ein Ohrwurm-Refrain, der das umsetzt, was auch "Vintage Whine" für meine Ohren noch arg bruchstückartig klang. Klasse!
Im folgenden gibt's mit dem energielosen "When God Logs-Off" und dem lediglich guten "Déjà-Vu Ain't What It Used To Be" (ich liebe diese Songtitel...) leider auch zwei Songs, die den bis dahin extrem hohen Standard nicht ganz halten können - zum Glück ist da noch die schöne Ballade "You Lost My Memory", die irgendwo zwischen "No Strings Attached" und der Gott-Nummer "The One Piece Puzzle" einzuordnen ist. Den extrem klasse ausgefallenen Abschlußtrack "Any Old Irony?", der wohl einen Tribut an die eigene Band darstellt, werden wiederum die Freunde von "Polkageist"&Co. lieben - auch wenn ich mich des Verdachts nicht erwehren kann, daß Mr. Walkyier nur endlich mal eine Gelegenheit haben wollte, "Biddle" (wie in George Biddle) auf "fiddle" zu reimen. ;-) Und weil man ein Album kaum passender beenden kann, spare ich mir jetzt auch jedes weitere Wort über dieses grausige Punk-Cover als Bonustrack.
Wo steht nun also "Folkémon" im größeren Zusammenhang so? Nun, die ersten zwei Skyclad-Alben werden aufgrund ihrer Thrash-Orientierung und Experimentierfreude wohl ewig in einer eigenen Welt stehen. Zu den besten Nachfolgealben, "Prince Of The Poverty Line" und "Irrational Anthems", kann man aufgrund zweier Ausfälle nicht ganz aufschließen - gibt sich aber nur sehr knapp diesen Klassewerken geschlagen. Damit bleibt immer noch das stärkste Werk der "verruckten Englander" seit Jahren, das ich in dieser Form von einer Band, die mich zuletzt nicht gerade zu Jubelsprüngen animieren konnte, nicht mehr wirklich erwartet habe. Pflichtkauf also - the Polkageist is in the House! Hoffentlich auch bei Euch...
(c)2000, Ernst Zeisberger