Savatage: Poets & Madmen
Vier lange Jahre mussten die Savatage-Jünger warten - eine Zeit, in der vieles im Camp des Power-Orchesters passierte. Jon Oliva und Paul O'Neill konzentrierten sich verstärkt darauf, mit dem Trans Siberian Orchestra und massenkompatiblem Material den US-Markt zu knacken. Dann stieg Al Pitrelli aus und wanderte ab zu Megadeth, diesem ehemaligen Thrash-Flaggschiff, das seit Jahren nur noch zahme Platten produziert. Aber dafür gibt es ja noch einige andere prominente Beispiele.... :-) Und dann Ende letzten Jahres der Schock mit Zachary's Abgang...
Hier liegt es also nun. Endlich. "Poets & Madmen", verpackt in eine schnöde CDR-Hülle. Ich erinnere mich noch an meine ersten Gedanken: "Stay With Me A While" ist nun doch auf dem Album und dann gleich als Opener? Ich dachte, das sei der Bonustrack für Deutschland? Und alles in allem nur 11 Songs? War nicht im Vorfeld die Rede von mindestens 14 Tracks? Egal, Scheibe rein und ersteinmal gestaunt. Düsterer sind sie geworden, die mittlerweile nur noch drei Recken exkl. dem Mountaking Jon Oliva. "Stay With Me A While" beginnt zwar ruhig und mit dem altbekannten Piano/Bombast-Rausch doch nach knapp einer Minuten sind sie da: Gitarren! Und was noch besser ist: mit den ersten von Jon Oliva gesungenen Zeilen ist sie zumindest bei mir wieder allgegenwärtig - die alte Savatage-Magie, die Alben wie "Power Of The Night", "Hall Of The Mountain King" und "Streets" auszeichnete. Um es gleich vorwegzunehmen: an die genannten Alben kommt "Poets & Madmen" zwar nicht heran, dennoch ist das neue Werk das beste Sava-Album seit seligen "Edge Of Thorns"-Zeiten.
Gründe gibt es viele: Jon's Gesang habe ich bereits erwähnt, doch auch die Tatsache, dass man es bombastmässig nicht so übertreibt wie auf den letzten beiden (von mir ebenso verehrten) Alben, lässt mich vor Freude ganz laut "oldschool!" schreien. Dazu passt auch das stimmungsvolle Coverartwork, welches, wie Ernst schon richtig bemerkte, an King Diamond-Scheiben wie "Them" oder "Abigail" erinnert. Die Songs letztlich sind der gewichtigste Grund, diese Scheibe in den Himmel zu loben. "Stay..." überzeugt mich zwar immer noch nicht so recht, doch dann geht's ab: "There In The Silence" überrascht zunächst mit Dream Theater-artigen Keyboardsounds, wandelt sich dann aber doch zu einem straighten Banger, das besonders vom schleppenden Rhythmus im Chorus und dem unnachahmlichen Oliva-Gesang lebt. Auf die Keys hätte man aber auch verzichten können... Tolle Soli von Caffery gegen Ende des Tracks, wenn auch das Tempo etwas angezogen wird!
Dann folgt die erste Single und zugleich der erste richtige Kracher. "Commissar" schlägt ein wie die berühmte Bombe: eingeleitet von zarten Pianoklängen, die das musikalische Thema sanft anspielen, ist "Commissar" ein mächtig beeindruckendes Metal-Monster geworden, das neben den gigantischen Chören am Anfang mit der besten Oliva-Gesangsleistung seit Jahren aufwarten kann. Auch hier finden sich zwar die seltsamen Synthieklänge, doch werden diese mit den krachenden Strophenmelodien schlicht weggeblasen! Mal sehen, ob das Tel hoch in die deutschen Charts einsteigt...
"I Seek Power" startet dann ebenfalls ruhig und atmosphärisch, bevor's dann doomig und bedrohlich wird und schließlich in einen geradlinigen Metalsong umschlägt - so habe ich mir Savatage seit Jahren mal wieder gewünscht! "You've Found Power AT LAST!" möchte man Oliva entgegenrufen...
"Drive" ist dann ein dreieinalbminuten Hit, der wieder etwas simpler gestrickt ist, aber dennoch durch die klassischen Savatage-Zutaten überzeugt. Ach ja: kein Stückchen Bombast ist zu finden - nur schiere Gitarrenpower und OLIVA!
Dann folgt das, wie sagt man so schön?, "Herzstück" des Albums. "Morphine Child" (sollte ursprünglich "Cantations" betitelt werden) ist genau 10 Minuten und 12 Sekunden lang und bietet all das, was Savatage in den letzten Jahren zu einer der besten und führendsten Metalbands gemacht hat: famose Melodien, ruhige Parts, mächtige Chöre (ja, hier findet man auch wieder den mittlerweile für die Band charakteristisch gewordenen Kanon!) und einen Oliva in Bestform. Wirklich klasse!
"The Rumor (Jesus)" lässt mich ob des gewöhnungsbedürftigen Beginns etwas schaudern, doch auch dies ist vergessen, wenn die Band losbrettert. Auch hier findet sich nämlich jede Menge Power, wenngleich das Tempo gedrosselt ist. Immer wieder wird der Song durch eine Akustikgitarren und der vom Anfang bekannten Melodie unterbrochen. Gut, aber nicht überragend.
Anders "Man In The Mirror": für mich neben "Commissar", "Surrender", "Back To A Reason" und "Morphine Child" der beste Song des Albums und Grund dafür, dass "Poets & Madmen" seit Tagen immer und immer wieder läuft. Abwechslungsreich wird hier das gesamte Spektrum der Band ausgespielt. Das allgegenwärtige Piano, eine wiederum tolle, kraftvolle Gesangsleistung vom Mountainking sowie nach 2:49 Minuten ein brillanter Instrumentalpart, der meinen Kopf kreisen lässt. Wird live bestimmt ein Brecher!
"Surrender" habe ich eben schon kurz erwähnt - ein direkt (nach balladeskem Beginn) nach vorne gehauenes, sehr melodiöses und vor allem düster klingendes Kurz-Opus der Extraklasse! Und das Beste: merkt euch die Stelle nach 2 Minuten und 4 Sekunden: dort findet sich nämlich der leider Gottes EINZIGE markante Jon Oliva-Scream der ganzen Platte. Ist zwar etwas schade, aber "man ist ja bestimmt erwachsen" geworden. Nichtsdestotrotz ist dieser Track etwas ganz besonderes - auch Caffery's Gitarrenarbeit verdient ein Extralob!
"Awaken" ist der neben "Drive" zweite, recht kurze und einfach gestrickte Banger in der Machart der Songs, die Savatage berühmt gemacht haben. Getragen wird das Stück von einem charakteristischen Bassriff, bei dem Oliva stimmtechnisch wieder zur Höchstform aufläuft. Gerade hier merkt man aber, dass er gerne noch höher wollte, es ihm aber leider nicht möglich war. Die Jahre des körperlichen Raubbaus haben also wirklich Spuren hinterlassen... Trotzdem: auch "Awaken" ist klasse!
"Back To A Reason" ist zum Abschluss dann noch eine richtig schöne Halbballade mit einem kurzen, knackigen Metalpart mittendrin. Ein Song in bester "When The Crowds Are Gone"-Manier.
So, wie lautet nun mein Fazit? "Poets & Madmen" ist ohne Zweifel ein richtig gutes Savatage-Album geworden, das die beiden letzten, beileibe nicht schwachen Alben locker toppt. Doch habe ich mich in den letzten Tagen häufiger ertappt, wie einige Songs wohl mit Zachary Stevens geklungen hätten, der objektiv bestimmt die bessere Stimme hat, aber gegen den allmächtigen Oliva-Bonus niemals ankommen wird. Dennoch überzeugt Oliva zu jeder Sekunde und verschafft mir ab und an gar ein wohliges "Back To The Roots"-Grinsen. Ich freu mich auf jeden Fall auf die Tour!
(c)2001, Michael Kohsiek