Helloween : The Dark Ride
Erstaunlich gut für den "Walls Of Jericho"-Fanatiker, der ich nun mal bin, gefällt mir das neue, nunmehr neunte reguläre Studiowerk aus dem Hause Helloween. Dunkler, ernsthafter wollte man also werden, so ließ man im Vorfeld verlauten und unterstützt diesen Eindruck auch durch das finster-nichtssagende Cover-Artwork (Wo ist der geniale Comic-Künstler der letzten Scheiben abgeblieben, Jungs?). Als dann auch noch ein düster tönendes Intro die Scheibe eröffnet, rechne ich mit dem Schlimmsten - hatten die Hamburger Kürbisköpfe doch stets mit ihrem leichteren, fröhlicheren Material am meisten überzeugen können.
Doch schon nach einer Minute des Openers "Mr. Torture" beginnen meine Zweifel nachzulassen - der Song ist ein astreiner Gute-Laune-Hit aus der Feder von Drummer Uli Kusch, der nahtlos in einer Linie mit hauseigenen Stimmungsknallern wie "Dr. Stein" oder "Perfect Gentleman" steht. Alberne Lyrics, Ohrwurm-Chorus - kann man eine Scheibe besser eröffnen?
Man hätte durchaus gekonnt, denn beim nächsten Song, dem Speed Metal-Ohrwurm "All Over The Nations", steht mir erst mal der Mund offen - ist das ein "Keeper II"-Überbleibsel? Andi Deris kann hier für meine Begriffe erstmals seit seinem Einstieg bei den Hamburgern wirklich in einem Song überzeugen, der nicht in irgendeiner Form an seine alte Band Pink Cream 69 erinnert. Gleichzeitig haben Helloween meinen zweiten ewigen Kritikpunkt der letzten Jahre eliminiert - denn die Zusammenarbeit mit den Weltklasse-Produzenten Charlie Bauerfeind und Roy Z. ist jeden Cent wert, den sich die beiden in die Tasche stecken durften. Die deftige Power der letzten Alben wurde zwar beibehalten, doch diesmal geht deswegen im Bereich der Melodien NICHTS verloren, was ja insbesondere auf "The Time Of The Oath" immer wieder Anlaß zu allerlei Ärgernis gab. Und Michael Weikath beweist hier endlich mal wieder, daß er als Songwriter, wenn er denn nur will, einem Kai Hansen in nichts nachsteht - leider hat er außer besagtem "All Over.." mit dem ebenso fantastischen "Salvation" nur einen weiteren Song zu "The Dark Ride" beigetragen.
Einen zwar guten, aber längst nicht diese Dimensionen erreichenden Speed-Track gibt's mit "We Damn The Night", und mit dem feinen Rocker "I Live For Your Pain" sowie der mächtig stimmungsvollen Ballade "Immortal (Stars)", die so ziemlich alles in die Schranken verweist, was sich Mr. Deris bei den Kürbisköpfen bis jetzt plüschtechnisch aus dem Ärmel geschüttelt hat, erinnern zwei Songs selbstverfreilich auch wieder an Andis Ex-Band - lediglich der Sound kommt hier etwas fetter daher als anno dazumal, vielleicht am ehesten mit der "Games People Play"-LP zu vergleichen. Auf diese hätte auch der etwas moderner tönende Mid-Tempo-Rocker "The Departed (Sun Is Going Down") ganz gut gepaßt, besticht dieser Ausnahmesong doch durch wahnsinnig atmosphärische Keyboard-Unterstützung und einen Chorus, der das Ohr so schnell nicht wieder verläßt. Leider gibt's mit den stinklangweiligen "Escalation 666" und "Mirror, Mirror" auch zwei weniger gelungene Experimente mit der Moderne zu vermelden, und die Wahl des vergleichsweise durchschnittlichen "If I Could Fly" zur ersten Single verwundert ebenso wie die Nichtberücksichtigung der ausgezeichneten B-Seite "Deliver Us From Temptation" für das komplette Album - denn die oben erwähnten zwei Komplettausfälle, die zu allem Überfluß auch noch aufeinander folgend abgespielt werden, schlägt diese Nummer ebenso um einige Längen wie die eigentliche A-Seite.
Na ja, dafür versöhnt der epische Zehnminüter und Titelsong zum Schluß noch mal gewaltig und beschließt ein Album, das ich trotz genannter Einschränkungen allen Helloween-Fans ans Herz legen kann, die sich vorstellen können, für 'ne höchst gelungene Mischung aus "Keeper II"-lastiger Eingängigkeit und der Experimentierfreude der "Better Than Raw"-Phase ihre sauer verdienten Kröten auf den Tisch zu legen. Wie singt Andi Deris doch so schön im alles überragenden "Salvation": "Tell me will we remember how it used to be?"...keine Sorge, Andi - Helloween 2000 sind sich ihrer glorreichen Vergangenheit stets bewußt, bleiben aber dabei niemals auf der Stelle stehen. Und das ist ein Kunststück, das wahrlich nicht jede Metalband beherrscht.
(c)2000, Ernst Zeisberger