Edenbridge : Sunrise In Eden
Es ist auch anno 2000 immer noch so eine Sache mit Sängerinnen im Metal - hat eine mal den mehr oder weniger wohlverdienten Erfolg errungen, so werden 99% der nachfolgenden female-fronted Bands automatisch mit selbiger verglichen. Wieviele Bands mußten sich zum Vergleich den Namen Warlock um die Ohren schlagen lassen, auch wenn's noch so unpassend war? Nun, die aktuelle weibliche Hauptrolle im Metal spielt wohl die finnische Operndiva Tarja - folglich habe ich ungelogen noch keinen einzigen Edenbridge-Artikel oder Review gelesen, in dem der Name Nightwish nicht in irgendeinem Zusammenhang erwähnt wurde.
Verfechtern der These "billige Nightwish-Kopie" gegenüber kann ich nur energisch das Haupt schütteln (nicht headbangend!) und mich fragen, ob jene dem Album der Österreicher überhaupt mal eindringlich gelauscht haben. Wo die finnische Konkurenz am laufenden Bande rasant gespielte, speedig angehauchte Klassik-Passagen bevorzugt, die die Fachpresse oftmals dazu anregte, Parallelen zu ihren Landsleuten Stratovarius zu ziehen, bewegen sich Edenbridge mit wenigen Ausnahmen zumeist in getragenen, episch-bombastischen Gefilden; und die Keyboardunterstützung ist eher als sphärisch-weltentrückt zu bezeichnen, als sich barockem Gefiedel zu nähern.
Ähnliches gilt für Sängerin Sabine Edelsbacher - auch wenn ich in den letzten Jahren dank Bands wie Therion, Rhapsody oder eben Nightwish opernhaften Gesang durchaus zu schätzen begonnen habe, so ist für mich ihr wesentlich wärmerer, einfach mit einer Extraportion Spirit intonierter Gesang doch um einige Längen voraus. Und nein, in die Oper geht hier niemand - erwartet eher eine stimmungvolle als eine im klassischen Sinne perfektionierte Vorstellung. Wenn ich die Band überhaupt mit jemandem vergleichen sollte, so käme mir viel eher die wunderbar unbekümmerte, für die trauerkloßige Gothic Metal-Szene mit beinahe unglaublicher Lebensfreude beseelte Mittneunziger-Phase der Holländer The Gathering in den Sinn, bevor diese auf einer Geschäftsreise als Planetenvermesser in unbekannten Soundgalaxien verschwanden. Nehmt "Mandylion" oder "Nighttime Birds", entfernt die latente Gothic/Doom-Komponente und ersetzt sie durch filigranen Prog/Bombast Rock, und dabei könnte etwas herauskommen, was in etwa dem Edenbridge-Debüt ähnelt.
Verantwortlich für die Songs zeichnet sich der vorher als Solokünstler agierende Lanvall, der mir bisher allerdings nur vom Namen her ein Begriff war. Das wird sich in aller Wahrscheinlichkeit demnächst aber ändern - der Wohlfrisierte spielt eine der gefühlvollsten Solo-Gitarren, die ich in letzter Zeit bestaunen durfte, und ergänzt sich so ausgezeichnet mit dem engelhaften Gesang der Frontfrau. Metal im eigentlichen Sinne ist das sicher nicht - kein wirkliches Wunder bei einer Scheibe, bei der die Rezensenten mit Vorliebe (und zu Recht!) Wörter wie "bezaubernd", "verträumt", "federleicht" oder "weltentrückt" aus der Tastatur schütteln - aber solange Musik in dieser Qualität geschieht, soll mir das ziemlich wurscht bleiben. Die Metal-Inquisition hingegen (...und jetzt alle:"We're the Metal Inquisition, We sentence you to death. By guillotine!"), die mal mindestens Bands mit dem Härtegrad von Tank oder Judas Priest zur metallischen Glückseligkeit benötigt oder schon die Verwendung von Keyboards als Sakrileg befindet, sollte dieser Scheibe besser fern bleiben. Denn besonders bodenständig gerockt wird hier nicht gerade - das wiederum war allerdings von Anfang an klar.
Anspieltips: der mega-eingängige Opener "Cheyenne Spirit", dank dem ich mich schon Monate vorher auf diesen Release freute, sowie die beiden überlangen Epen "Sunrise In Eden" sowie "My Last Step Beyond", beide veredelt durch wundervolle Instrumental-Passagen von Bandgründer Lanvall. In letzterem gibt sich als Gastmusiker ein Typ namens Gandalf die Ehre an der Sitar, und in der Tat wirkt das Stück, als käme es direkt aus dem fernsten Westen, direkt aus dem verlorenen Valinor angeschippert. Zwischendurch braucht der Mensch, Elb oder Zwerg sicher mal was Deftigeres - doch um den nächsten Ork formvollendet in den Boden zu spitzen, gibt's ja immer noch Blind Guardian, Doom Sword, Morgana Lefay & Co. Zum schlichten Zurücklehnen und Genießen allerdings kaum was besseres als diese Scheibe. Magie nach Noten.
(c)2000, Ernst Zeisberger