Es ist lange her, dass mich ein Album beinahe zu Tränen gerührt hat. Pharaoh,
die mit ihrem Zweitwerk "The Longest Night" das meiner Meinung nach wichtigste
traditionelle Metalalbum der letzten zehn Jahre veröffentlicht haben, sind
Schuld daran. Pharaoh, beziehungsweise ein Song namens "Cover Your Eyes And Pray",
der, angefangen vom Titel über das Arrangement, den Gesang, die Melodien bis hin
zu den Soli schlichtweg das Prädikat "überirdisch" verlangt. Ich kann kaum
beschreiben, was mir alles durch den Kopf geht, wenn diese 5 Minuten und 6
Sekunden über mich kommen, aber es ist alles und nichts. Hat schon beinahe etwas
Reinigendes.
Mag sein, dass ich hier mal wieder übertreibe, aber diese Band hat
mittlerweile alles, was die perfekte Metalband braucht. Sie besitzt mit Matt
Johnson einen Gitarristen, der zu den ganz großen Saitenhexern der Metalszene zu
zählen ist - leider wird dies kaum jemand merken, wenn "Be Gone" ebenso
sträflich untergeht wie "The Longest Night" (ich werde alles tun, um das zu
verhindern). Johnson verfügt über die Gabe, jeden Song mit unglaublich fein
ausgearbeiteten Licks zu verzieren, andererseits jedoch die komplette, mal
komplex-progressive, mal direkt in die Schnauze gehende Riffmaschinerie
abzufeuern, die eine Metalband benötigt. Wahrhaft göttliche Soli kann er auch,
wie jeder der neun Songs teilweise mehrmals beweist. Das hat teilweise wirklich
Psychotic Waltz-/Pink Floyd-Klasse. Und bei allem Können stellt er jenes NIEMALS
in den Vordergrund, hier gibt es kein zur Schau gestelltes Egogewichse, sondern
songdienliches Spiel auf allerhöchstem Weltklasseniveau. Im Ernst, alleine Matt
Johnson ist es wert, diese Band zu lieben und zu unterstützen. Was er auf dem
abschließenden, progressiv-hypnotischen und sprachlos machenden Titeltrack
abzieht ist kaum von dieser Welt. Doch es gibt ja noch mehr, was eine Combo
benötigt.
Tim Aymar beispielsweise. Jede Band sollte einen Tim Aymar in ihren Reihen
haben. Okay, dass der Mann singen kann hat er ja nun schon mehrfach bewiesen (u.a.
bei Pycho Scream, Control Denied und natürlich auf den ersten beiden
Pharaoh-Scheiben) aber "Be Gone" zeigt ihn auf dem Höhepunkt seines Schaffens.
Nie klang er durchdringender, nie abwechslungsreicher und nie berührender. Wenn
er auf dem grandiosen "Buried At Sea" zunächst ruhig beginnt, um dann mit seiner
rauen Stimme durchzustarten, ist das schon beinahe mehr als gänsehauterzeugend.
Seine Fähigkeiten, Melodien zu singen ist sowieso, ich mag es kaum immer und
immer wiederholen, kaum verbesserungsfähig. Teilweise klingt seine Stimme so
kräftig, als stünde da nicht ein Mann, sondern drei hinter dem Mikro.
Dann sollte eine Band die Fähigkeit haben, Songs zu schreiben. Der beste
Gitarrist und der beste Sänger nützen genau nichts, wenn die eigentlichen Träger
ihrer Fähigkeiten, die Songs, nicht vorhanden sind. "Alle Neune!" mag man da
rufen, denn sämtliche Tracks sind wahre Meisterwerke. Einen kapitalen
Achtminüter wie "By The Night Sky" sucht man auf "Be Gone" vergeblich -
vermissen tue ich das aber zu keiner Sekunde. Alle neun Songperlen sind so
dermaßen gespickt mit Details, dass jene erst entdeckt werden wollen - überladen
wirkt hier aber nichts, im Gegenteil. Es ist immer noch powervoller HEAVY METAL,
wie er wunderbarer und erhabener kaum geht. Dafür sorgen neben den bereits
erwähnten Vorzügen auch die Refrains, die sämtlichst unter die Haut gehen.
Einige schneller ("No Remains", "Buried At Sea"), andere wiederum benötigen
etwas mehr Zeit, um sich festzusetzen ("Dark New Life", "Telepath").
Ich könnte hier noch ewig so weiterschwafeln, aber die Zielgruppe weiß nun
wohl schon Bescheid. Wer Angst hatte, dass "The Longest Night" ein Glückstreffer
war, kann beruhigt aufatmen. Ich weiß, es ist noch etwas früh, aber mir scheint
es, dass "Be Gone" sogar noch etwas tiefgreifender und zeitloser ist als der
grandiose Vorgänger. Das werden aber logischerweise erst die nächsten Monate
zeigen.
Ich möchte dieses Review mit einem Appell schließen. Ihr, die ihr auf
anspruchsvollen, aber gleichwohl eingängigen und drückenden Power Metal (mit
Betonung auf "Power") abfahrt und gerne abwechselnd sprachlos und wild bangend
eure Zeit vor der heimischen Anlage verbringt und in diesem Jahr genau EIN Album
kaufen wollt - es sei "Be Gone". Sorgt dafür, dass dieses Quartett endlich die
Aufmerksamkeit erhält, die sie schon lange verdient hat. Gehet nun hin und
kaufet - euch werden die Augen geöffnet werden.
(c)2008, Michael Kohsiek