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Mara : America

Vor einigen Jahren stolperte ich in einem Amsterdamer Importladen über "Poetry & Motion" von den Amerikanern Mara. Irgendwie zündete die angeproggte Melodic-Scheibe damals nicht bei mir (muss wohl taub oder
verkatert - oder beide - gewesen sein) und ich stellte sie ins Regal zurück. Vor einigen Wochen fast dieselbe Szene: an einem regnerischen Samstag fische ich im gleichen Plattenladen Mara's mehr oder weniger aktuelles Release "America" aus dem Angebot. Beim reinhören passiert etwas seltsames: die Sonne fängt an zu scheinen, der trübe Tag draussen ist
vergessen und weg. Diese Melodieführung, diese Spielfreude, diese magischen Klänge die einem einfach ein ununterbrochenes Grinsen aufs Gesicht zaubern. Ja, that's it!
Diese Truppe aus Cincinnati, Ohio hat eine Platte erschaffen die sich Song für Song nur als Perlenkette beschreiben lässt; irgendwie ist "America" die ultimative Kombination aus Kansas (mit Kerry Livgren), Marillion ("Seasons
end"-Phase) und neu-amerikanischen Prog à la Leviathan oder Aztec Jade. Noch eine Prise 80s-Melodic vom Schlage Prophet dazu und ihr habt ein ziemlich genaues Klangbild dieser Band. Songdienlicher als Mara aber erlebt
man eher selten eine Gruppe aus dieser Richtung; der Fünfer ist so ungefähr die musikalische Antithese zu Dream Theater und Co. Das Gros der kompakten Kompositionen geht auf Konto von Gitarrist Jason Aronoff, der sich nicht nur ein begnadeter Arrangeur sondern auch ein einfallsreicher Texter zeigt und noch dazu weiss wie man melodische Rockmusik in einem Studio am bessten aufs Band bringt. Seine Songs haben Farbe; Themen oder Riffs sind auch im Akustikgewand tadellos, Sänger Marty Farris setzt Akzente in den gefühlvollen Vocallines, und gezielter Einsatz von Keyboards und Synthesizer sorgt fürs sprichwörtliche i-Tüpfelchen. Aronoffs Songs müssen deshalb nicht in einer aufgepumpten Produktion
daherkommen um auf sich aufmerksam zu machen, geschweige denn mit allerhand Virtuositäten überladen sein um College-Muckern die Kinnlade hinunterfallen zu lassen; ihre Klasse kommt vom Innern heraus.
Man höre sich nur den knackigen Opener "The answer" mal an: mit einer Killermelodie ausgestattet, strotzt sie nur so vor Spielfreude und schreit förmlich nach der Repeat-Taste. Aber: Problem, denn die nachfolgenden Songs tun dasselbe! "Outside my door" und der Titeltrack machen einem den trüben Alltag sofort vergessen, obwohl man der ganzen CD eine gewisse
Beschaulichkeit nicht absprechen kann. Aber dann kommt's. Der von Aronoff und Drummer Todd Farler geschriebene
vierte Track auf dem Album heisst "Fall" und ist ohne wenn und aber eine der schönsten Balladen EVER. Der Text, die Melodie-Führung und melancholische Stimmung dieses Juwels (auf der Nippon-Pressung dazu noch in
einer faszinierend-bescheidenen Akustikfassung als Bonustrack vertreten) sind einfach nicht von dieser Welt (Stimmt auffallend, Herr Kerdijk! -Michael). Sauber gespielte Akustik-Gitarre, Violine, Cello (vielleicht das Melancholia-Instrument schlechthin), erstklassiger Gesang - da kommen mir spontan ältere (Halb)Balladen in Erinnerung die auch dieses spezielle, bittersüsse Gefühl versprühten (und das noch immer tun): "Handful of reasons" vom ersten Gaskin-Album, "Pray for me" vom Lethal-Debüt, "The lady wore black" von Queensryche, Vaudeville's "In search of forever" und DER Klassiker über das Zeitliche der Dinge: "Dust in the wind" von Kansas, aus der Feder Kerry Livgrens. Der Geniestreich "Fall" bekommt mit Songs wie "Sacred ground" (enthält ein sagenhaftes Mittelteil im Percussion-/Bass- und Piano-Arrangement), "Darkness before dawn" und "Like a dream" noch zusätzliche Highlight-Gesellschaft - und dann habe ich noch die Hälfte dieser Platte aussen vor gelassen. Hier haben wir, cari amici der Qualitätsrockmusik, einen verdammten Klassiker vor dem Herrn. Auch die Texte sagen etwas aus, ohne dass der Verfasser (Aronoff) ein Fix-it-yourself-Psychologiebuch drauf nachschlagen oder nordeuropäische Heldensagen plündern musste. Schon die stimmungsvolle Aufmachung der CD weist auf aussergewöhnliches hin: schwarz-weiss-Fotos dokumentieren treffend den Gegensatz Großstadt-Provinz. Dazu kommen noch die kleinen typographischen Spielereien im Booklet.
Irgendwie hat diese Musik aus der Provinz Nordamerikas das, was keine Großstadtmusik jemals bewirken könnte: Lebensfreude. Schlicht und einfach Lebensfreude. Abseits der schnellebigen Beton-Molochen mit ihren forcierten Trends, ihrer intellektualisierten Musik (die Weiterentwicklung; ihr wisst schon...) und ihren leeren Nachtleben-Ergüssen (trust me: God is DEFINITELY NOT a DJ!) gibt es eben noch Gegende wo man einfach ehrliche Musik macht. Musik ohne flotte Sprüche (verkauft sich immer am besten, weil dann nur die Dummköpfe hinhören - und davon gibt's viiiieeele (Oliver, hiermit spreche ich Dich heilig und zum Mitarbeiter auf Lebenszeit bei der SACRED METAL-Page!!! -Michael)). Ohne politisch-korrekte Parole (die "seriöse" Musikpresse nennt das "aussagekräftig"). Ohne Medienwirbel (nix blödsinnige Videos, nix Fun-Image, nix Gimmicks aus der Designer-Schock-Retorte). Ehrliche, handgemachte Rockmusik; sag' ich doch. Natürlich kauft die fast keiner, aber das sollte man als Musiker des Kalibers Jason Aronoff als Kompliment auffassen: eine Scheibe wie "America" gibt es nicht alle Tage zu bestaunen und ist deswegen denjenigen vorbehalten, die sich die Mühe machen ihre Musik selbst auszusuchen, statt sie von überflüssigen Musikfernsehsendern per Schwachsinn-Clip vorgesetzt zu bekommen (sprich: die Scheibe ist PFLICHT für alle SACRED METAL-Leser!! -Michael). Sie macht mit ihrem zeitlos guten, melodiösen Hardrock auch deutlich warum Rap, Hip Hop, Industrial, Grunge, Techno, Alternative und
Dance niemals Lebensfreude und Gefühl vermitteln können: diese (ich drücke mich jetzt mal diplomatisch aus) Stile widerspiegeln nur oberflächliches, hässliches und negatives - die implodierende Anti-Kultur der Gross-Stadt.
Insofern ich weiss (sonstige Infos sind willkommen; wir werden da auch selber mal nachhaken) ist "America" das dritte offizielle Release der Band, deren Besatzung seit Anfang der Neunziger mehr oder weniger unverändert ist. Die erste (?), über Long Island veröffentlichte CD (aus '95?) ist schlichtweg "Mara" betitelt, mehr in der Melodic-Ecke angesiedelt und kommt
ohne die späteren Prog-Elemente aus. Als etwaiger Vergleich könnte man die von Bobby "Axe-man" Barth unterstützte Kapelle Guild of Ages (ehemals C.I.T.A.) anführen, allerdings sind Mara einen Tick fetziger in der Umsetzung ihres Materials.
Hört man sich Lieder an wie "Promises made to be broken" oder "Change of heart" dann fallen einem sofort die erstklassigen Gitarrensoli Aronoffs auf: sie haben Hand und Fuss und weisen leichte AOR-Roots auf. Die disziplinierte aber gefühlvolle Art und Weise in der diese Soli gespielt werden erinnern an Auditory Imagery's "Reign".
Zwei Tracks von "Mara" finden sich auf dem Japan-Release von "America" als Bonustracks wieder, nämlich "Once in my lifetime" (klasse) und "Heaven's door". Im letzteren Track gibt's ein Sax-Solo, und sogar eins das nicht nervt. (Ich sage immer: Jazz im Hardrock macht gehörkrank.) Das zweite Werk heisst "Poetry & Motion" (subtiles Wortspiel) und kam zwei
(?) Jahre später via Bulletproof/Intercord nach Europa. Hier präsentiert sich die Band etwas härter als gewohnt ("Sentimental warning", das Mörder-Instrumental "Nightmare") und gibt es erstmals Aronoff-Acoustics ("Alone here beside you") zu lauschen. Das ganze Album wurde vom Ausnahmegitarristen im Soloflug konzipiert, während an "Mara" noch alle
Musiker mitschrieben. Auffallend auch die subtile Wandlung der Atmosphäre; textlich ist das ganze schon eine Ecke nachdenklicher angelegt und die Musik besitzt einfach mehr Dynamik. Obwohl "America" bis dato klar das beste Scheibchen Maras ist, sind die beiden Frühwerke trotzdem nicht zu verachten, sei es nur um die Entwicklung der Cincinnatianer nachvollziehen zu können. Haltet also, bei Interesse, auf Plattenbörsen die Augen offen. Hoffentlich wird "America" nicht das letzte Lebenszeichen dieser leider bisher (auch von mir) unbeachteten Band sein. Für "Metal only"-Fans sind
Mara wohl 'ne zwiespältige Angelegenheit, für Liebhaber zeitloser Rockmusik heisst es: "America" = kaufen!!!

(c)1999, Oliver Kerkdijk