Progressive Metal mal ganz anders? Es geht! Das
Quintett Polaris aus dem US-Staat Massachusetts bringt ein ganz eigenwilliges
Gebräu, das auf der selbstfinanzierten EP Seven arrows von Anfang bis Ende
restlos zu überzeugen weiss. Sieben Progpfeile haben die Bogenschützen auf Lager
und es ist nicht gerade leicht ihren Stil beschreiben - was eigentlich schon ein
Kompliment an sich darstellt. Wer sich eine Mischung aus Mas Optica, Kurgan’s
Bane und Damn The Machine vorstellen kann, hat ungefähr – aber auch wieder nicht
– ein Klangbild von Polaris.
Obwohl die Seven arrows-EP noch in einer anderen Besetzung aufgenommen wurde
(man hat sowohl den Drummer als auch den Bassisten gewechselt, sowie einen
zweiten Gitarristen rekrutiert), ist der erste Gehversuch schon so
professionell, dass man sich mal wieder wundert wieviele hervorragende Musiker
doch in den US of A rumlaufen. Polaris’ As im Gepäck ist aber ohne Zweifel
Sängerin Olivia Berka. Selten, sehr selten hört man eine derartig überragende
Gesangsleistung wie sie Olivia in sämtlichen Songs hinlegt. This girl is
intense! Ich wage zu behaupten, dass sich die grössten Rockbands der Erde um sie
prügeln würden wenn sie etwas bekannter wäre. Hoffen wir, dass sie Polaris noch
lange erhalten bleibt. Gefühlvoll, aggressiv, mitreissend veredelt Olivia Berka
jeden Track mit den kompliziertesten Gesangslinien. Dazu besitzen ihre Texte
eine emotionale Tiefe und oftmals beunruhigende Atmosphäre in der jedes Wort
seine Daseinsberechtigung hat. Glaubt mir: diese Dame ist etwas ganz, ganz
besonderes.
Ob die Band jetzt ein verhältnissmässig straighter Song wie ‘Move north’
(Hammer!), oder etwas eher Abenteuerliches (‘Raven and the rowan tree’) spielt,
der geneigte Hörer ist dieser Musik und Stimme sofort verfallen. Ab und zu hört
man auch etwas lässig-melodisches und subtil jazzrockiges (zum Beispiel die
Harmonien im melancholischen ‘Tired and broken’). Bassist Rob Massoud, Gitarrist
T.J. Bellerive und Trommler Lee Dias bauen jede Menge Feinheiten ein ohne jemals
den roten Faden zu verlieren oder etwas in die berüchtigte Proglänge zu ziehen.
Die Bassarbeit von Massoud auf dieser Platte ist übrigens top.
Songs kommen unter der Fünf-Minutengrenzen auf den Punkt, etwas dass manche
Progbands anscheinend nie lernen. Anders formuliert: in der Beschränkung zeigt
sich der Meister.
Der Text zum superben ‘Ghost war’ beinhaltet intelligent formulierte Kritik zum
katastrofalen Irak-Feldzug, wozu man ja gerade in der amerikanischen Provinz
schon etwas Courage mitbringen muss. Sowohl nachdenklich als aggressiv ist der
Text zum letzten Song ‘The complex’, in der es geht um den Glauben, oder viel
mehr um diese Kollektivillusion des Überwesenbildes:
‘…Well, that crown of thorns must be a burden
Could you heal me with the words that you say?’
[…]
‘And I ask you, what’s in this man that’s not in we?’
Diese Musik, diese Band hat Substanz – und das ist im Metalbereich, wo der
Dungeons & Dragons-Eskapismus ja allgegenwärtig ist, nicht gerade alltäglich.
Bald gehen Polaris erneut ins Studio um im neuen Line-up (dazugekommen: Ian
Shultz/Rhythmusgitarre, John Andonian/Bass und Chris Helme/Drums) frisches und
altbekanntes Material (neu) einzuspielen. Ich kann es nicht abwarten, die zweite
Scheibe des progressiven Boston-Fünfers in den Händen zu halten. Hoffentlich
bleiben die einschlägigen Proglabels nicht taub, denn soviel Klasse auf einmal
gibt es im harten Rockbereich nicht oft. Polaris sind für Progheads Pflicht!
www.myspace.com/polarismusic
(c)2006, Oliver Kerkdijk