Toxik: World Circus (Re-Release)

TOXIK ! Well, das bringt ein paar schöne Erinnerungen wieder ans Tageslicht. Es muss 1988 gewesen sein, am Abend vor dem DYNAMO OPEN AIR als ich Toxik bei einem wahnwitzigen Club-Gig im Dynamo-Indoor erlebte. Mann, war das heiß, war das geil sich bei solcher Banger-Feinschmeckerkost vom Schlage „Door To Hell“ oder „Heart Attack“ (Heart!Heart!Heart!Heart!Heart Attack!!!) die Rübe wegzuschädeln, sich langsam gen ekstatisches Nirvana treiben zu lassen. Aufgrund so mancher Substanzen, nicht immer flüssig, sind meine Erinnerungen allerdings auch etwas getrübt, sicher bin ich mir nicht ob es vor oder nach dem Dynamo war, ist aber egal, trotzdem eines dieser magischen Konzerterlebnisse und an eines erinnere ich mich ganz sicher noch. Nämlich daran dass ich mein „Energetic Disassembly“-Shirt in einem Anfall von Raserei, Ekstase und aus Angst vor einem Kreislaufkollaps aufgrund massiver Hitze im Venue genüsslich zerrissen habe um von allen Fesseln befreit weitertoben zu können. Natürlich aber in dem Wissen noch drei Watchtower- Shirts zu besitzen. Cooler Abend….

In einer Zeit wo jeder Fliegenschiss wiederveröffentlicht wird macht der Re-Release des fulminanten Toxik-Debüts natürlich doppelt Sinn. Wobei doppelt hier wörtlich zu nehmen ist wurde „World Circus“ doch ebenso wie der Nachfolger „Think This“ von zwei Firmen, namentlich Metal Mind Productions und Displeased Records, nahezu zeitgleich neu aufgelegt. Über den Sinn solcher Geschäftspolitik ließe sich natürlich zünftig streiten, Grundlage für dieses Review bildet auf alle Fälle die Displeased-Veröffentlichung, welche meines Erachtens aufgrund einiger Bonus-Tracks mehr und des vielleicht etwas druckvolleren Sounds minimal wertiger ist. Wobei man natürlich jetzt auch über Sinn und Unsinn von Bonusmaterial streiten könnte, aber lassen wir das…

Die Gründung der in Westchester, NY beheimateten Combo geht auf das Jahr 1985 zurück, Mike Sanders (Vocals) und Gitarrist Josh Christian zockten in einer Coverband namens Tokyo bis sie sich dazu entschlossen endlich eigene Songs zu schreiben. Um mit der Coverband abzuschließen änderte man den Namen und nahm in der Besetzung Sanders, Christian, Lee Ervin (Bass) und Drummer Sal Dadabo das „Wasteland“-Demo auf mit dem man schließlich einen Deal bei Roadrunner ergattern konnte. Bevor es allerdings an die Aufnahmen zu „World Circus“ gehen konnte wurden Ervin und Dadabo vor die Tür gesetzt und durch Brian Bonini und Tad Leger (ex- Prime Evil) ersetzt. Anfang 1988 war es dann soweit, „World Circus“ erblickte mit für die damalige Zeit fast typischem schicken Ed Repka-Artwork das Licht der Welt. Basisch aber auch wuchtig von Tom Morris in den Morrisound Studios abgemischt bekam der Hörer das geboten was man früher noch gemeinhin als Techno Thrash bezeichnete. Toxik mit anderen Bands zu vergleichen fällt etwas schwer, da zum einen der Gesang von Mike Sanders, nahezu komplett im Falsetto-Bereich angesiedelt, sehr eigenständig und nicht leicht verdaulich ist und man zum anderen mit Josh Christian einen außergewöhnlich grandiosen Gitarristen zu hören bekommt der wirklich alle nötigen Feinheiten in seinem Stil vereint. Deswegen mag ich Toxik hier auch nicht mit anderen Bands vergleichen, nur soviel : wer mit den famosen Realm etwas anfangen kann ist auch hier an der richtigen Stelle.

Eingeleitet wird das Debüt vom alles zermalmenden und bereits erwähnten „Heart Attack“, bei dem Tad Leger sein Drumkit ordentlich schrotet und welches vor allem vom superben Grundriff lebt. Definitiv so etwas wie die inoffizielle Bandhymne, den Refrain bekommt man jedenfalls niemals mehr aus seinem Schädel.
„Social Overload“ kommt überwiegend treibend daher auch wenn gen Ende ordentlich Gas gegeben wird, besonders auffällig ist auch hier das gnadenlose Powerdrumming von Leger welches den Song stetig nach vorne treibt.
„Pain And Misery“ startet irgendwie rock`n` rollig schlägt dann aber in einen typischen Toxik-Midtempothrasher um, was nicht negativ gemeint ist. Im Gegenteil, auch wenn manche der Songs auf den ersten Hör eingängig und gar nicht mal so technisch erscheinen so geschieht doch unheimlich viel, sind sie mit zahlreichen Feinheiten gespickt. Hier ein paar unerwartete Drumbreaks, dort einige begnadete Licks oder überraschende Soloabfahrten auf der Sechsaitigen oder ein kleines Solo am Tieftöner. Langeweile tritt jedenfalls nie auf.
„Voices“ punktet vor allem wegen seiner psychotischen Vocallines, passend zu den Lyrics welche sich der Sichtweise eines schizophrenen Killers annehmen.
„Door To Hell“ ist dann mein Favorit auf dem Album, einfach nur gnadenlos gezockter Power Thrash mit bestechenden Riffs und wahnwitzigen Leads, bei denen Josh Christian seine ganze Klasse zeigt. Der Song drückt gnadenlos und macht einfach mächtig Laune.
Der Titelsong kommt sehr abwechslungsreich daher, pfeilschnelle Parts wechseln sich mit druckvollem Midtempo ab und sogar atonale Gitarrenmelodien machen die Runde, auch ein Klasse-Livesong.
Das brillante „Count Your Blessings“, cooler Bass übrigens, wird von dem schönen Akustik-Intro „47 Seconds Of Sanity“ eingeleitet und begeistert vor allem wegen des Kontrastes zwischen schnell vorgetragenen Versen und verschlepptem Chorus, zählt auch zu den absoluten Höhepunkten des an diesen nicht armen Albums.
Das wütende „False Prophets“ wartet mit einer Menge an Überraschungen auf, abermals kann besonders Tad Leger Lorbeeren einheimsen, grandios wie gnadenlos und mit welcher Power er hier seine Drums bearbeitet.
„Haunted Earth“ ist ein von coolem Riff angetriebener Track dessen Refrain zum fröhlichen Mitshouten einlädt, wie so oft werden auch bei diesem Song alle möglichen Geschwindigkeitsbereiche abgedeckt.
Beim abschließenden „Victims“ gibt es dagegen nur eine einzige Geschwindigkeit und die heißt straight forward, eignet sich prima zum abschädeln, trotz des recht progressiven Mittelteils. Genialer Songbeginn übrigens.
Hiermit endet der „offizielle“ Teil dieses Rereleases und nachdem ich mir „World Circus“ nach längerer Zeit mal wieder angehört habe wird mir immer klarer was für ein fantastischer Einstand dies 1987/88 war. Technischer aber trotzdem eingängiger Thrash mit einem formidablen Gitarristen, einer Weltklasse-Rhythmsection und einem extremen aber korrekten Sänger, der zugegeben jenen sauer aufstoßen könnte die nicht so viel mit hohem sirenartigem Gesang anfangen können. Da mir aber auch Leute wie Steve Cooper (Juggernaut / S.A.Slayer), Mike Soliz (Assalant, Militia, Watchtower), Bonata (Thrust) oder Ski (Deadly Blessing ) sehr genehm sind bereitet mir auch Mike Sanders keinerlei Probleme. Weitere Punkte auf der Habenseite sammeln Toxik mit ihrem raffinierten detailreichen Songwriting und auch textlich hat man sich ordentlich Mühe gegeben. So wurde bei „Social Overload“ schon damals gegen die Ellenbogengesellschaft gewettert, die Drogenthematik („Pain And Misery“) fand ebenso Platz im textlichen Konzept wie der damals noch munter gärende Kalte Krieg oder das Problem der Obdachlosigkeit. Auch die Tschernobyl-Katastrophe, zu der Zeit noch sehr nahe Vergangenheit, hinterließ nicht nur auf dem Artwork-Motiv seine Spuren. „Victims“ deutete bereits das textliche Grundkonzept des Nachfolgers „Think This“ an, handeln doch die Lyrics von der Abgestumpftheit so mancher TV-Junkies, nicht zuletzt anhand des Beispieles der zuhauf veröffentlichten Mondo-Reihen („Faces Of Death, Parts 1,2 & 3). Warum eigentlich ? Waren zwar strunzdoof aber doch eh meist nur Fakes, was zugegebenerweise irgendwelche grenzdebile hinterwäldlerische Rednecks bis heute wohl noch nicht kapiert haben. Naja, früher gab es noch keine Castingshows im heutigen Ausmaß, DAS ist erstmal Horror !


Kommen wir nun zu den Bonustracks, als erste Zugabe setzt es das 86er-Demo mit den Tracks „Heart Attack“, „Haunted Earth“, „False Prophets“ und „Wasteland“ sowie dem 5-sekündigen Coitus Interruptus „Skippy Windshield“. Auffällig dass bei diesen soundtechnisch sehr zufrieden stellenden Tracks die Vocals von Mike Sanders etwas gemäßigter daherkommen und der alte Drummer nicht ganz so vertrackt aber doch überzeugend agiert, was den Songs einen anderen Anstrich verpasst und sie somit zu guten Alternativen zu den Albumversionen generiert. Tönt irgendwie besser als mein altes Original-Demo.
Dann gibt es noch die „Wasteland“-Version vom neunten Metal Massacre- Sampler und spätestens hier wird klar dass gerade dieser Song einer der stärksten in der Vita von Toxik ist. Alle Trademarks des Bandsounds werden hier kongenial in Beziehung zueinander gesetzt. Bärenstark.
Nicht ganz so bärenstark sind die unveröffentlichten Tracks „Straight Razor“ und „Finer Points Of Tragedy“ sowie das missglückte KISS-Cover „Parasite“, was aber eher an dem Rehearsal-Charme in Sachen Klangqualität liegen mag, Feinheiten, so wichtig im Toxik- Sound bleiben hier völlig außen vor.
Als ebenso verzichtbar erweisen sich die angehängten und recht nichts sagenden Interview-Schnipsel, dennoch bietet dieser nett aufgemachte Re-Release definitiv value for money und sollte jeden qualitätsbewussten Metalhead zum Kauf animieren. Zumal man sich gerade nahezu im Original-Line-up reformiert hat. Wunderdrummer Tad Leger war leider zu sehr in andere Projekte verstrickt um sich auf das neue Toxik-Abenteuer einzulassen. Grund genug sich schon mal wieder mit „World Circus“ zu erfreuen bietet diese Reunion-News allemal. Denn es ist eines der besten Alben dieses Stils aus jener Epoche.
 

© 2007, Michael Weber